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Schwester Pflanze.
Unser ethisches Verhalten gegenüber der Pflanze

Carl Anders Skriver

(Ein Vortrag, gehalten auf dem Jahrestreffen der Vegetarier am 1. September 1968 in Hannover, erschienen im Selbstverlag von Carl Anders Skriver, † 1983)

Mein Thema ist ein ethisches, nicht ein botanisches. Ich werde Ihnen hier nicht eine Morphologie oder Systematik oder Physiologie der Pflanzen geben, sondern zunächst eine Phänomenologie und Metaphysik der Pflanzen und dann eine dementsprechende Verhaltenslehre oder Ethik des Menschen gegenüber der Pflanze. Also es geht hier nicht nur um unser biologisches Verhältnis, unsere natürliche Stellung gegenüber den Pflanzen, sondern um unser gerechtfertigtes oder verantwortliches Verhalten zu den Pflanzen. Da dies alles Neuland ist, sowohl unser ethisches Verhalten zum Tier wie sogar zur Pflanze, so sind das, was wir hier treiben, Ansätze zu einer absoluten Ethik. Es geht letztlich um die Frage: Gilt das 5. Gebot: „Du sollst nicht töten!“ absolut, also nicht nur gegenüber dem Menschen, sondern auch gegenüber allen Tieren und allen Pflanzen? Und wenn wir diese Frage auch vielleicht von vornherein als töricht abweisen wollten, so wissen wir Vegetarier doch alle, dass uns immer wieder die Frage wie eine Pistole auf die Brust gesetzt wird: Sie wollen keine Tiere töten? Sie töten doch aber Pflanzen! Und man wirft uns dann auch gleich die kühnsten dogmatischen Aussagen fix und fertig an den Kopf: Die Pflanzen sind doch auch Lebewesen! Sie haben auch ein Recht auf Leben und Pflanzenschutz! Sie sind inkonsequent als Vegetarier, wenn Sie Pflanzen töten! Da sind wir schnell in die Enge gedrängt und schon mitten in unserem eigentlichen Thema: Wie soll man sich da verteidigen? Wie steht es da mit unserem Recht? Welcher Unterschied besteht denn nun doch zwischen Tier und Pflanze? Warum dürfen wir Pflanzen essen, Tiere aber nicht? Hier müssen wir der Sache also einmal auf den Grund gehen.
Wir Vegetarier beschäftigen uns aus berechtigtem Grunde reichlich viel mit den Tieren, denn schließlich ist ja Vegetarismus Verzicht auf die Tötung und den Verzehr von Tieren.
Aber der Vegetarismus hat es doch auch mit den Pflanzen zu tun, denn Vegetarismus ist ja nichts anderes als Pflanzenkost.
Darum stehen im Mittelpunkt einer Philosophie des Vegetarismus die fundamentalen Themen Tier und Pflanze und nicht Rezept- und Geschmacksfragen. Das sind sekundäre Fragen.
Ehe wir das Wesen der Pflanze untersuchen und vom Tier unterscheiden, wollen wir einmal die Grundbeziehung zwischen Mensch, Tier und Pflanze so feststellen: Mensch und Tier leben von der Pflanze, sie könnten ohne die Pflanze nicht leben. Der Grundlebensstoff für Mensch und Tier ist also die Pflanze. Die Tiere nehmen ihn im grünen, ungekochten Zustand zu sich, und auch der Mensch hat nach langer Abschweifung ins Revier der Köche die Rohkost als optimales Lebensmittel wiederentdeckt. Vielleicht darf man sagen: Das Kochen der Nahrung, sei sie pflanzlicher oder tierischer Natur, ist eine Perversität in der Natur, genauer gesagt: eine Perversität des Menschen. Denn der Mensch ist das einzige Tier, das einzige Raubtier, das seine Nahrung kocht, bevor es sie isst. Dies dürfte aufs engste zusammenhängen mit dem Übergang des Menschen zur Fleischkost. Da weder sein Gebiss noch seine Hände von Natur zur Tiertötung geeignet sind, auch wohl nicht sein Magen, musste er Speer, Pfeil und Bogen, Feuer und Kochtopf erfinden, um dem Fremdstoff Fleisch beizukommen. Ob die Erfindung von Feuer, Waffenschmiede und Kochkunst die Voraussetzung war für die geistige Emanzipation des Menschen, für das derzeitig hohe Niveau von Kultur, Philosophie und Religion des Menschen, darf wohl bezweifelt werden. Die Kennzeichnung des Menschen als größtes Raubtier geht auf Menschenkenner wie Graf Gobineau und Oswald Spengler zurück. Schon Jesus hat die Erzeugnisse der bürgerlichen Küche als „Raub und Fraß“ bezeichnet, weil ihr Herkunftsquell das Blutvergießen, der Lebensraub durch Fischfang, Jagd und Schlachtung ist.
Auf jeden Fall gilt also der naturwissenschaftliche Befund: Ohne Pflanzendecke auf der Erde gäbe es kein Tierleben auf der Erde. Auch die Tiere fressenden Raubtiere leben von ihren grasfressenden Opfern. Also Grundsatz oder Grundlage aller Ernährung auf Erden ist: Die Menschen und die Tiere essen die Pflanzen. Aber die Pflanzen essen im allgemeinen keine Tiere. Gewiss gibt es als Ausnahme auch Fleisch fressende Pflanzen, auf die ich später noch zurückkomme. Aber Fleisch fressende Pflanzen sind eben auch eine Perversität in der Natur. Und wohl nur weil der Kannibalismus oder Karnivorismus so relativ weit verbreitet ist unter den Tieren bis hin zum ethisch unterentwickelten eingebildeten Homo sapiens, werden diese Fleisch essenden Menschen uns noch nicht die dritte These abnehmen dass auch der Raubtier-Status oder das Fleisch fressen der Tiere einschließlich der Menschen eine Perversität innerhalb der Natur ist. Natürlich wird jeder Mensch mir sofort zustimmen, wenn ich behaupte, dass auch der Kannibalismus, das Verspeisen von Menschen durch Menschen, eine abscheuliche Perversität ist. Dafür haben die Leute einen Nerv. Daran zweifelt man nicht. Darüber diskutiert man nicht. Nach diesen Vorbeobachtungen und Vorbemerkungen sind wir nun wirklich neugierig auf eine nähere Untersuchung des Wesens der Pflanze.
Ich schlage einmal einfach das klassische „Lehrbuch der Botanik“ von Professor Otto Schmeil auf (52. Auflage 1944). Uns genügen auf S. 1 die beiden ersten Sätze: „Der Teil der Naturwissenschaft, der sich mit der Pflanze beschäftigt, wird als Pflanzenkunde oder Botanik bezeichnet. Da die Pflanzen Lebewesen sind, ist die Botanik eine biologische Wissenschaft.“ Hier lässt uns Herr Schmeil schon einfach auf freiem Felde stehen, setzt die professorale Diesseitsbrille auf und beginnt seine empirischen morphologischen, physiologischen und systematischen Kenntnisse zu dozieren. Halten wir fest: Das Wichtigste, was er für uns ausgesagt hat, war dies, dass die Pflanzen Lebewesen sind: „Da die Pflanzen Lebewesen sind, ist die Botanik eine biologische Wissenschaft.“ Gut! Man möchte zu dem Professor sagen: Du sprichst ein großes Wort gelassen aus! Ehe wir ihn aber mit unseren weiterbohrenden Fragen bestürmen: Was ist denn das: ein Lebewesen? Was ist Bios? Gehört zum Bios auch immer Psyche, Seele? Aus dem Griechischen wird doch Psyche oft einfach mit Leben übersetzt! Ehe wir also diese metaphysischen Fragen näher untersuchen, möchte ich erst noch Schmeils Kollegen von der Zoologie zu uns sprechen lassen. Bei Alfred Kühn, Grundriss der allgemeinen Zoologie (Stuttgart 1964, S. 5), heißt es:
„Tierreich und Pflanzenreich sind in den einfachsten Lebensformen nicht zu trennen. Für höher differenzierte Arten können wir gewisse morphologische und physiologische Unterscheidungsmerkmale zwischen Tieren und Pflanzen anführen: Die mit besonderen ‚assimilatorischen' Farbstoffen ausgerüsteten Pflanzen können unter Ausnutzung der Lichtstrahlung ihren Stoffbedarf mit anorganischen Substanzen decken; die Tiere brauchen hochzusammengesetzte, organische Substanzen als Nahrung. Der Stoffaustausch mit der Umgebung findet bei den Pflanzen an der Oberfläche, bei den Tieren vornehmlich in inneren Hohlräumen statt; die Pflanzen zeigen dementsprechend reiche äußere, die Tiere mehr innere Gliederung ihres Körpers. Die Cytoplasmakörper der Pflanzen sind von festen Zellulosewänden umhüllt, die bei den Tieren fehlen. Reizbarkeit und Eigenbewegung und die diesen Leistungen dienenden Strukturen sind bei den Tieren viel reicher entfaltet als bei den Pflanzen.“ Soweit Prof. Kühn. Und dies ist unsere prinzipielle Ausbeute:
„Tierreich und Pflanzenreich sind in den einfachsten Lebensformen nicht zu trennen.“ Es besteht also eine Gemeinsamkeit zwischen Pflanze und Tier, sogar ein Übergang auf der niedrigsten Stufe. Hier hat also der religiöse Gedanke an eine „Schwester“ Pflanze und an die Allverwandtschaft aller Lebewesen eine naturwissenschaftliche Bestätigung gefunden. Für die Vernunft mag diese Verwandtschaft sehr entfernt sein, für das Herz, für die Lyrik und für die Religion sind Tor und Tür geöffnet für eine unbegrenzte Liebesbeziehung zu unzähligen Tieren und Pflanzen, zu Haustieren und Blumengärten.
Aber Kühn weist auch auf Unterscheidungsmerkmale zwischen Tieren und Pflanzen hin, und mir scheint, dieser Unterschied zwischen Tier und Pflanze ist praktisch so groß und evident, dass eigentlich jedes Kind ein Tier von einer Pflanze unterscheiden kann. Ein nur wissenschaftlich einzusehender Unterschied zwischen Tier und Pflanze ist die interessante Tatsache, dass die Pflanze in der Lage ist, anorganische Stoffe in organische zu verwandeln, dass diese Assimilation unter Ausnutzung der Lichtstrahlen vor sich geht, dass der Stoffaustausch bei den Pflanzen an der Oberfläche, bei den Tieren in den inneren Hohlräumen stattfindet. Dass die Reizbarkeit und Eigenbewegung bei den Tieren größer sind als bei den Pflanzen, ist offensichtlich.
Der wichtigste Unterschied zwischen Pflanze und Tier, der der Pflanze fast die Würde einer schöpferischen Überlegenheit über das Tier verleiht, ist ihre wunderbare Fähigkeit, Totes lebendig zu machen, Anorganisches in Organisches zu verwandeln. Darin ist auch ihre ethische Überlegenheit begründet. Während alle animalischen Lebewesen von anderen Lebewesen leben, die sie töten oder zerstören, vermag die Pflanze allein sich zu ernähren, ohne töten zu müssen. In dieser Hinsicht steht die Pflanze moralisch über dem Tier und dem Menschen! Sie ist unschuldiger, reiner, heiliger als wir! Daher wohl auch die Freude und der Friede, den die Pflanzen, besonders in ihrer Blüte, und wenn wir sie abernten dürfen, auf uns Menschen ausstrahlen! Darum: Mehr Ehrfurcht vor den Pflanzen und mehr Liebe zu den Pflanzen!
Doch nun wollen wir Pflanze und Tier weiter mit eigenen Augen betrachten und vergleichen.
Unsere Augen bedürfen freilich noch einer Verstärkung durch ein Mikroskop, um festzustellen, dass beide, Pflanze und Tier, Zellwesen sind, was sie also auch verbindet. Beide leben hochgradig im Wasser und vom Wasser, und beide leben auch irgendwie durch ein Atmungssystem, wenn dies auch sehr unterschiedlich, aber dadurch symbiotisch aufeinander abgestimmt ist. Ich denke hier an den bekannten Kreislauf von Sauerstoff und Kohlensäure zwischen Tier und Pflanze. Vergleichsweise haben auch beide Lebenssysteme so etwas wie „Adern“ und „Gerippe“ und „Nerven“. Zu den Lebensphänomenen gehört bei beiden, bei Pflanze und Tier, dass sie wachsen, dass sie reifen, dass sie sich fortpflanzen, und dass sie sterben oder verwelken. Überlegen an Schönheit ist die Pflanze dem Tier ohne Zweifel durch die Hoch-Zeit ihres Blütenlebens und -reichtums, so dass man selbst einem Menschen kein schöneres Kompliment machen kann als mit dem Vergleich: Du bist wie eine Blume! Ein weiteres Plus, wodurch sich das Lebewesen Pflanze wohltuend von dem Lebewesen Tier inklusive Mensch unterscheidet, ist ihr bezaubernder Duft, ihr natürliches Parfüm, das bei den Blumen fast immer angenehm ist, während bei Tier und Mensch doch wohl die unangenehmen Gerüche oder Ausdünstungen in der Überzahl sind. Pflanzen haben auch keine Exkremente, was zweifellos auch ein paradiesischer Vorzug ist. Zu den großen Benachteiligungen der Pflanze gegenüber dem Tier gehört, dass die Pflanze durch ihre Wurzeln an die Erde, an ihren Standort gebunden ist, dass sie kein Blut hat, dass sie keine Augen hat und daher den vielleicht täuschenden Eindruck erweckt, auch keine Seele zu haben. Gibt es pflanzliches Seelenleben, oder gibt es offenbar Lebewesen ohne Seele? Das ist die interessanteste Frage unserer ganzen Untersuchung, denn hier fällt auch die Entscheidung über die Frage, ob Pflanzen auch getötet werden können. Unter Tötung versteht man nämlich metaphysisch die gewaltsame Entseelung oder die plötzliche, vorzeitige Trennung einer Seele von ihrem ihr zugehörigen Körper. Empirisch gesehen hat dies allemal den Zerfall des Körpers zur Folge. In diesem Sinne wirken sich auch viele Eingriffe der Tier- und Menschenwelt in die Pflanzenwelt als Zerfall, Zerstörung, Untergang und mithin als Tod der Pflanze aus. Der gewalttätige Eingriff des Menschen in die Pflanzenwelt ist von den hellbewul3ten Menschen früherer Zeiten durchaus als Tötung empfunden worden. Das Sterben der Gräser und Blumen unter der Sichel des Sensenmannes ist schon im Volkslied als Symbol des Todes besungen worden: Es ist ein Schnitter, heißt der Tod, hat Gewalt vom großen Gott; heut wetzt er das Messer, es schneidt schon viel besser, bald wird er dreinschneiden, wir müssen’s nur leiden. Hüt’ dich, schöns Blümelein! Auf jeden Fall müssen auch die Blumen das erleiden. Und der kleine eingebildete Mensch ist nach der Bibel gar nicht so sehr viel großartiger als seine kleine Schwester Pflanze: Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr (Psalm 103, 15. 16).
Doch gehen wir noch einmal zurück in die Einzelheiten. Ein gewaltiger Unterschied zwischen Tier und Pflanze ist der: Die Tiere können sich selbständig weiterbewegen, während die armen Pflanzen gleichsam wie Wachhunde angebunden sind. Sie leben und sind doch unter Umständen Jahrhunderte an denselben Erdenfleck gebunden. Übrigens sind auch die Tiere lebenslang an eine Weide, und die meisten Menschen an ihr Dorf, ihre Stadt oder ihr Land gebunden. Spricht aber nicht doch die größere äußere Beweglichkeit auch von einer größeren inneren, seelischen Beweglichkeit bei den Tieren und Menschen als bei den Pflanzen? Dennoch bewegen sich auch die Pflanzen auf ihre Art, und zwar werden sie nicht nur von außen her durch Wind und Sturm geschüttelt, können also Angriffen nachgeben und ausweichen, sie haben auch eine innere Triebkraft, sich zu bewegen. Eine Art Weiterbewegung ist ja schon der Ausdehnungstrieb, das Wachstum und Weiterkriechen, wie es sich bei den immergrünen und anderen, besonders Steinpflanzen als Wucherung bekundet. Lustig ist doch auch, wie die Pflanze sich gleichsam im Flugsamen auf die Luftreise begibt. Als Samen versuchen sie nicht nur sich fortzupflanzen, sondern auch den Platz zu wechseln, sich in ihren Kindern weit fort selbst anzupflanzen. Denken wir an das, was Prof. Kühn sagte: „Reizbarkeit und Eigenbewegung sind bei den Tieren viel reicher entfaltet als bei den Pflanzen“, d. h. also, dass Reizbarkeit und Eigenbewegung auch bei den Pflanzen vorhanden sind, nur eben anders. Wir kennen alle das Phänomen, dass Pflanzen zum Licht streben, zum Fenster hin wachsen und die Blüten sich zur Sonne hin drehen. Könnte man hier noch sagen, dass dies auf der Anziehungskraft, dem Einfluss der Sonne beruht, so kann man wohl nicht gut glaubhaft machen, dass auch die Ranken der Erbsen- und Bohnenpflanzen vom toten Buschwerk oder von den leblosen Bohnenstangen angezogen werden. Hier sucht und tastet die Pflanze von sich aus. Man muss das einmal mit der Zeitlupe gefilmt gesehen haben, wie rührend anlehnungsbedürftig solche Schwester Pflanze ist! Man lasse sich dann auch gleich im Film zeigen, wie die keimenden Bohnen gleichsam wie mit dem Rücken die Erddecke zu heben und zu sprengen versuchen, um ans Licht der Welt zu kommen. Es ist dies wie eine Parallelerscheinung zur Eigenbewegung oder Mitarbeit des Kindes bei der Geburt.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass jede Pflanze aus einer zentralen Vitalkraft heraus lebt, der eine ahnungsartige Zielstrebigkeit anhaftet. Auch das Phänomen der „Anpassung“ deutet auf diese innere Eigenbewegung hin. In ihrem Willen zum Leben und in ihrer Durchsetzungskraft bekundet sich so etwas wie eine Individualität, mag sie auch ihren Artgenossen noch so ähnlich sein.
Zwei Pflanzenarten haben verständlicherweise auf das lebhafteste die Phantasie der Menschen angeregt: Das sind die Mimosen und die Fleisch fressenden Pflanzen. Wenn eine Pflanze bei bloßer Berührung ihre Blätter zusammenklappt oder niederschlägt, so muss man zunächst staunen über diese Reaktion. Ob sie das nötig hat? Die meisten Pflanzen haben’s nicht nötig, oder sie haben eine zu lange oder zu schwerfällige Leitung. Mimosa pudica heißt: die schamhafte Schauspielerin. Auf deutsch wird sie auch die Sinnpflanze genannt. Man sprach ihr also einen gewissen Sinn, eine Empfindlichkeit zu.
Das aufregendste Schauspiel bieten natürlich die Fleisch fressenden Pflanzen. Gibt’s denn so was? Jawohl, es gibt nichts Scheußliches, was es in der Natur nicht gibt. Pflanzen fressende Tiere, ja, das kennen wir. Aber Fleisch fressende Pflanzen? Tiere fallen Pflanzen zum Opfer! Das ist doch wohl der Höhepunkt der Entartung! Zuerst hat Charles Darwin ein wissenschaftliches Werk über die Insectivorous plants, die insektenfressenden Pflanzen, geschrieben (1875). Schon 1791 hat der englische Reiseschriftsteller William Bartram das Typische bei der Venusfliegenfalle beschrieben: „Bewundernswürdig sind die Eigenschaften der außerordentlichen Dionaea muscipula (Venusfliegenfalle), eines erstaunlichen Naturproduktes. Ihre fleischfarbigen, sich ausbreitenden Lappen sind, wie auf den Sprung, bereit, unvorsichtige, getäuschte Insekten zu fangen. Eins der Blätter schließt jetzt die sich sträubende Fliege ein; ein anderes hat einen Wurm erhascht und hält, was es hat, fest, so dass seine Beute ihm niemals entkommen kann! Hier haben wir eine Fleisch fressende Pflanze! Können wir nun noch einen Augenblick Bedenken tragen, zu gestehen, dass Pflanzen mit einigen Sinneskräften oder Eigenschaften von eben der Art begabt sind, wie die, welche die animalische Natur zu ihrer Würde erheben? Sie sind organische, lebende, sich selbst bewegende Körper, denn wir sehen an dieser Pflanze Bewegung und Willen.“ Das, worauf es uns ankommt, ist hier also bezeugt. Es gibt Pflanzen, die nicht nur tierähnlich sind, sondern auch bereits die Hinterhältigkeit von Raubtieren bekunden. Der Ausdruck Fleisch fressend, karnivor, ist beanstandet worden, vermutlich, weil die Pflanzen keine Schnitzel oder Beefsteaks verzehren, sondern hauptsächlich nur Insekten, man nennt sie daher besser insectivore oder insectizide Pflanzen. Für uns sind Insekten auch Tiere, und das Erschütternde ist und bleibt, dass Pflanzen Tiere töten und irgendwie verdauen, auch wenn dabei Reste übrigbleiben. Sie bedienen sich dabei der raffiniertesten Fanginstrumente wie Fallgruben, Kannen, Reusen, Schlingen, Fangfäden und dann vor allem wirksamer Lichtreflexe, Farben, Düfte und Klebestoffe. Da sich die Fleisch fressenden Pflanzen nicht selbst ausgedacht haben, so muss also der Schöpfergeist, der diese abscheulichen Miracula naturae (Naturwunder) hergestellt hat, recht teuflischer Natur sein. Stellen Sie sich vor, dass es etwa 450 Arten Fleisch fressender Pflanzen gibt. Hinweisen möchte ich noch darauf, dass auch Tiere fangende Pilze vorkommen. Auch fehlt es neben den tierischen nicht an pflanzlichen Schmarotzern, die also auf Kosten ihrer Wirtspflanzen leben.
Doch nun ein Weiteres! Auch das merkwürdige Phänomen, dass Pflanzen Sympathien und Antipathien zueinander haben, deutet auf ihre Eigensinnigkeit und Eigenwilligkeit hin! Wenn Sie Blumen auf die Fensterbank stellen, die sich nicht „mögen“, dann gedeihen sie eben kümmerlich, solange der Grobian von Mensch das nicht einsieht und für Abstellung sorgt durch Trennung oder Umstellung. Dann sind die Pflanzen aber auch dankbar. Pflanzen wissen genau, wer sich um sie kümmert, von wem sie gepflegt werden. Es gibt Pflanzen, die innerhalb weniger Tage eingehen, wenn eine andere Person die Pflege übernimmt. Pflanzen, die von ruhigen, ausgeglichenen Menschen betreut werden, entwickeln sich besser als andere. Wesen, die geliebt und gepflegt werden wollen, können nicht von Stein sein, können nicht gefühllos sein.
Darum interessiert uns auch das Liebesleben der Pflanzen. Es ist doch merkwürdig, dass alle Begriffe für die Liebesbetätigung aus der Pflanzenwelt abgeguckt und ins Tierleben übernommen worden sind wie Fortpflanzung, Besamung, Befruchtung, Reifung, Nachwuchs. Auch die Pflanzen haben männliche und weibliche funktionierende Geschlechtsorgane. Aber die Vermehrung der Pflanzen ist verschiedenartiger als die animalische Zeugung. Sie geschieht ungeschlechtlich durch Brutknöllchen und Ableger oder durch Generationswechsel, aller meist aber geschlechtlich durch Staub- und Fruchtblätter, Pollen und Stempel. Die meisten Pflanzen sind zweigeschlechtlich, hermaphrodit, andere stehen als männliche und weibliche Bäume lebenslänglich in monogamer oder polygamer Ehe nebeneinander, streicheln vielleicht mit Blätterhänden ihre flatternden Blätterhaare. Der Wind weht nicht nur Duftgrüße wie Handküsse, sondern auch Blütenstaub der Partnerin zu. Das Liebesleben der Pflanzen ist auf Zärtlichkeit gestimmt, nicht so aggressiv wie unter Tieren. Mehr zufällig fällt der Same, wie’s trifft, weniger selektiv. Es geht mit Schmetterlingskuss, Zungenkuss der Bienen und so. In der Symbiose mit den Insekten erfand die Natur die künstliche Besamung der Pflanzen, die viel schwärmerischer und musikalischer vor sich geht als die sachlich-mechanische, mit der der Mensch das Liebeserlebnis der Tiere unterbindet. In der Blumenhochzeit sind Blütenstaub und Nektar die Hochzeitsspeise. Reich gedeckt sind die Festtische. Ein Insektenorchester spielt auf. Die Liebe vollzieht sich nicht im Beischlaf, sondern im Beistand, im vollen Blütenstaat, nicht im Mondenschein, sondern am helllichten Tag, den ganzen Honigmonat lang.
Durch viele Pflanzenexperimente hat man festgestellt, dass Blumen, fruchttragende Sträucher und Bäume auf erregende und beruhigende Medikamente reagieren wie Menschen und Tiere. Der Inder Prof. Bose in Kalkutta hat Pflanzen mit Hilfe von Chloroform, Schlaf- und Betäubungsmitteln und Alkohol beeinflusst. Er erzielte bei Pflanzen und Bäumen, die regelmäßig mit Beruhigungsdrogen behandelt wurden, bessere Ernteergebnisse als bei Bäumen, die ständig durch Lärm und Erschütterungen in einen Zustand der Erregung versetzt wurden. Pflanzen können auch nervös sein! Prof. Bose behauptet: „Pflanzen, die aus der Erde herausgerissen werden, leiden unzweifelhaft, wie ich mit sehr empfindlichen Messgeräten feststellen konnte. Zu den Pflanzen, die am stärksten gequält werden, zählen selbstverständlich jene, die wir am häufigsten verzehren: Kohl, Sellerie, Rote Rüben, Salat, Radieschen usw.“ Es geht mir durch und durch, wenn ich höre und sehe, wie es den eben noch heilen Möhren, Roten Beeten und Spinat in der Rotation der elektrischen Rohkostmaschine ergeht. Wie gut oder auch nicht, dass wir Menschen normalerweise so hart gesotten sind ‚dass wir uns in die Seelen der Kreaturen nicht hineinversetzen können oder wollen.
Nur hinweisen möchte ich aber darauf, dass Pflanzen auch leiden können, dass es sehr viele Pflanzenfeinde und Pflanzenkrankheiten gibt, unter denen sie kümmern und schließlich dahinsiechen. Dagegen gibt es Pflanzenschutz- und -heilmittel. Pflanzen können also als unsere Sorgenkinder regelrecht krank und erholungsbedürftig sein. Wir brauchen den Rat eines Pflanzendoktors oder doktern selbst mit ihnen herum. Natürlich können sie auch verschmachten und erfrieren, die Köpfe hängen lassen oder „hinüber“ sein. Das sind wohl nicht alles nur Bilder für rein chemische Vorgänge.
Eine weitere Übereinstimmung zwischen Tier und Pflanze ist auch das rätselhafte Geschehen des Schlafes. Auch die Pflanzen schlafen! „Die Blümelein all’ schlafen schon längst im Mondenschein...“ ist wieder mehr als nur ein Gleichnis. Was der Schlaf eigentlich metaphysisch ist, das kann Ihnen kein Naturwissenschaftler sagen, weil er ja das Bewusstsein überhaupt nicht sieht und nicht registrieren kann. Die Seele kann man sowieso nicht greifen und begreifen. Nur unkluge Leute verlangen so etwas. Wenn meine Frau und ich uns vor dem Einschlafen Gute Nacht sagen, sagen wir manchmal auch: Gute Reise! Komm gut wieder! Auf Wiedersehen! In der Tat, man verschwindet ja irgendwie, ist bis zum andern Morgen abwesend oder „weit weg“, obgleich die Körper nur einen Meter auseinander liegen. Wahrscheinlich ist der Schlaf eine Entrückung, ein himmlischer Ausflug der Seele. Der Wissenschaftler bemerkt nur, dass die Körperfunktionen herabgesetzt sind, dass die Glieder wesentlich weniger bewegt werden als im Wachzustand, obgleich der Mensch auch im Bett noch eine ganz nette Schlafgymnastik ausführt, und der Wissenschaftler weiß auch mehr aus eigener innerer Erfahrung als durch Anschauung, dass der Schlaf eine Herabsetzung der Bewusstseinsstärke bedeutet. Man kann nun auch bei der Pflanze Schlafphänomene feststellen. Zunächst weiß ja jeder Botaniker, dass die Nacht- Physiologie der Pflanzen anders ist als die des Tages. Der Prozess der Assimilation entfällt, der an das Blattgrün und das Sonnenlicht gebunden ist. Trotzdem geht eine Art Atmung weiter im Sinne einer animalischen Aufnahme von Sauerstoff und Ausscheidung von Kohlensäure, so dass es nicht ratsam ist, zu viele Blumen und Bäume Im Schlafzimmer stehen zu haben, zumal wenn einer noch bei geschlossenen Fenstern schläft! Wir kennen alle das rührende Phänomen, dass viele Blüten von einer gewissen späten Nachmittagsstunde an sich schließen, als wollten sie sich von innen besehen. Sie gehen also richtig schlafen. Interessantes kann man an den Mimosen beobachten. Bekanntlich klappen die Mimosen, wenn man sie anrührt, ihre kleinen Blätter der Länge nach zusammen. Nach einer gewissen Zeit wagen sie es, ihre Blätter wieder aufzurichten. Am Abend, wenn die Sonne untergegangen ist, auch wenn sie am Tag nicht geschienen hat, klappen sie ihre Blätter ebenfalls automatisch, d. h. ohne unsere Berührung, zusammen, und sie bleiben so, auch wenn wir das Zimmer mit elektrischem Licht erleuchten, während sie sich am Morgen wieder aufrichten, selbst wenn das Zimmer durch Rouleaux noch ganz dunkel ist. Hier unterliegt die Pflanze zweifellos einem kosmischen Tag- und Nacht-Rhythmus, einem feinstofflichen Ebbe- und Flutwechsel, der auch bei anderen Pflanzen wirksam sein wird, wo er nicht so offensichtlich beobachtet werden kann.
Eine Apartheit der mehrjährigen Blumen und vor allem der Laubbäume, die schon seit Jahrhunderten die Phantasie des Menschen beschäftigt und ihn zu poetischen und philosophischen Spekulationen angeregt hat, ist ihre Überwinterung, wo sie beinahe tot, leblos zu sein scheinen und dann im Frühling eine Wiederbelebung und Auferstehung erfahren. Das Ausschlagen der Bäume und das Wiedergrünwerden und das Blühen der Fluren hat als Osterevangelium alle Jahre wieder die Herzen der Menschen mit zeitlicher und ewiger Hoffnung erfüllt. Sehr viele Pflanzen vollziehen also so etwas, was dem Winterschlaf gewisser Tiere entspricht. Bei manchen Zwiebeln und Knollen wie z. B. Schneeglöckchen und Krokussen muss man wegen ihrer Langschläfrigkeit wohl schon mehr von einem Sommerschlaf sprechen. Auf jeden Fall ist auch hier das Verhalten der Pflanzen sonderbar und erregt in einem klugen Tier wie dem Menschen verwandtschaftliche Gefühle.
Ein auffälliger Unterschied zwischen Mensch, Tier und Pflanze ist schließlich die Stummheit oder Schweigsamkeit der Pflanzen. Nennen wir schon die Tiere die stumme Kreatur, so gilt dies doch in einem noch viel größerem Maße von den Pflanzen. Das Stillesein ist ja nun nicht unbedingt ein Nachteil, sondern erweckt auch im Menschen Stille, Besinnlichkeit, Staunen und Ehrfurcht vor einer paradiesischen Oasenkette, die wie ein großer Blumenkranz der Mutter Erde umgehängt ist. Das Geheimnis, das hier vorliegt, ist groß. Ich habe in meinem Buch „Der Weihnachtsbaum“ die Baumwesenheit geradezu als etwas Mütterliches dargestellt, das den Menschen in seinen Schutz und seine Belehrung nimmt: „Beim Aufschauen des Menschen zu den Riesenbäumen wie Palme, Ölbaum, Feigenbaum, Eiche, Esche, Zeder und Tanne oder auch zu den alten großen Obstbäumen entsteht in ihm die Ehrfurcht vor dem friedlichen Leben im Baume. Ein Baum ist nicht laut, nicht wild und sprunghaft oder gar reißend wie ein Tier, sondern stumm, feststehend und friedlich, er spendet wohltuendes Grün, Schatten, Stille, Sauerstoff, Blütenduft und gar Früchte und Öl. Zu seinen Füßen schläft man, meditiert man und empfängt man göttliche Inspiration Der Baum repräsentiert das Stati8che, das Bleibende in aller kosmischen Bewegung, auch das Mensch und Tier langlebig Überdauernde. Es ist daher kein Wunder, dass die Bäume als heilig empfunden wurden.“
Nicht immer stehen also die Pflanzen unter uns! Die Bäume haben z. B. oft ein viel längeres Leben als Menschen und Tiere.
So sehr uns Wald, Feld und Wiese als Stätten paradiesischen Friedens erscheinen, so möchte ich aber doch darauf hingewiesen haben, dass es leider auch unter Pflanzen so etwas wie einen Kampf ums Dasein und einen Wettlauf ums Licht und ums Leben gibt.
Kurz und gut, wir haben soviel Ähnliches und Verwandtes zwischen Tier und Pflanze gesehen, dass wir uns jetzt wohl an eine erste Beantwortung unserer Grundfrage heranmachen können. Sind die Pflanzen auch Lebewesen? Sind die Pflanzen genau so Lebewesen wie die Tiere? Kann man sagen: Pflanzen sind auch Tiere, wie Manfred Kyber einmal gesagt hat: Tiere sind auch Menschen? Er wollte damit nur sagen: Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz!
Unsere vorletzte Frage ist: Gibt es pflanzliches Seelenleben? Und unsere letzte Frage ist: Dürfen wir die Pflanzen töten?
Ich meine, wir sollten uns um diese Frage nicht leichtfertig herumdrücken, indem wir z. B. sagen: Das ist eben Glaubenssache des Einzelnen. Nein, echter Glaube als ein Wissen von Dingen, die man nur nicht sieht, und echtes Wissen drängen auf eine gewisse Objektivität des Meinens und Wissens. Ich meine und ich glaube, dass man doch von einer Beseeltheit des Lebewesens Pflanze sprechen muss, der Entsprechungen sind zu viele. Aber erstens muss hierbei nicht das menschliche Seelenleben als absoluter Maßstab genommen werden, und zweitens scheint hier eine Bewusstseinsgrenze vorzuliegen, die nur wir Menschen auf Grund unserer Bewusstseinsbeschränktheit nicht überspringen können. Ich möchte vergleichsweise sagen: Wie wir unser eigenes Schlafbewusstsein nicht recht in den Griff, in den wissenschaftlichen Begriff bekommen, so auch nicht das Bewusstsein der Pflanze.
Zur Klärung des ganzen Problemkomplexes müssen wir mit drei Kunstgriffen oder Fassungsmethoden arbeiten: a) es gibt Stufen des Bewusstseins, b) es gibt Gestaltungsseelen, und c) es gibt Empfindungsseelen. Verweilen wir zunächst bei den beiden letzten Begriffen. Auf jeden Fall wirkt in jeder Pflanze ein Bildungsprinzip, ein Form- und Gestaltungsprinzip, das die physikalischen und chemischen Kräfte, die die Stoffe regieren, der Schwerkraft der Erde entgegen in eine höhere organische Gesetzlichkeit hinein- und aufhebt und so die Wundergestalten der Pflanze vor unseren Augen entstehen lässt, eine jede nach ihrer Art. Diesen inneren Organisator hat schon Aristoteles die Entelechie, die innere Zielstrebigkeit genannt. Dieses Prinzip haben andere die vita, das Leben, oder die bios genannt. Rudolf Steiner hat es den Ätherleib genannt, wobei bei Leib nicht an einen physischen Leib, sondern mehr an den Formumriss gedacht ist, und auch Äther ist nicht das uns bekannte chemische Gasgemisch, sondern eher das „Feuer“ im Sinne der alten vier philosophischen Elemente oder Aggregatzustände, wie es auch Moses im brennenden Dornbusch erlebte, der bekanntlich trotz des Feuers nicht aufbrannte. Unsichtbare Kräfte umflammen und durchflammen jede Pflanze. Aber es sind keine bloßen blinden Kräfte und Gesetze, sondern von Zielstrebigkeit kann man nur reden, wenn man auch einen Plan und ein Telos annimmt, nach dem gearbeitet und dem zugestrebt wird. Die Gestaltungsseele, wie Ich sie nennen möchte, offenbart sich uns nur als Gesetz und Form, aber hervorgerufen und getragen wird sie wohl letztlich von einem geistigen Gestalter und Former, ob man dieses geistige Geheimnis nun Dryade, Elfe, Nymphe oder sehr großzügig und undifferenziert gleich Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, nennen will. In diesem Sinne haben dann also alle Pflanzen eine Gestaltungsseele vitalistischer Art und bedeutet jeder vorzeitige Angriff auf die Pflanze zugleich einen zerstörerischen Eingriff in das an sich heilige, länger dauernde Leben der Pflanze!
Im Gegensatz zu dieser Gestaltungsseele unterscheidet man seit alters eine Empfindungsseele der Tiere. Die Tiere haben übrigens auch eine Gestaltungsseele, sonst hätten sie ja keine Gestalt, ihre Gestalt. Der alte Name für die Empfindungsseele ist Psyche. Sie wird von den Anthroposophen nur den Tieren und Menschen zugesprochen, nicht den Pflanzen. Da es aber schon biologisch Übergänge gibt zwischen Tier und Pflanze, möchte ich doch auch der Schwester Pflanze eine gewisse Empfindlichkeit gegen Licht, gegen Trockenheit, gegen Berührungen, für Verletzungen, für Pflanzenquälereien durch Läuse und Raupen, die sie kahl fressen, gegen-unsympathische Nachbarschaft, ja, auch für den Sonnengesang, das Tönen der Sonne nach alter Weise, zusprechen. Also ich glaube, d. h. ich bin fest überzeugt - und ich richte mich dabei nicht nach einer festgelegten Ideologie, sondern nach der Wirklichkeit -‚ dass auch die Pflanzen eine Empfindungsseele haben, dass diese aber schwächerer Art ist als die Tierseele. Ich möchte annehmen, dass die Pflanzenseele träumt, in einer Art Traumzustand ist. Das würde aber nicht bedeuten, dass sie gar nichts merkt. Nur wenn man im Traumzustand nicht angerührt wird, merkt man nichts. Wenn man hart angepackt wird, erwacht man und steigert sich die Bewusstheit oder Empfindlichkeit.
Irgendwie liegt diese Schlafmützigkeit ja auch in dem Begriff Vegetieren. Hier sei ein kleiner sprachlicher Exkurs erlaubt. Der Begriff Vegetarier ist eine moderne französisch-englische Weiterbildung aus dem Lateinischen. In der Antike, also in einem lateinischen Lexikon, finden Sie diesen Begriff nicht, obwohl es die Sache des Vegetarismus natürlich im Altertum schon gab. Es hieß dann: Er enthielt sich von allem Beseelten oder von allem, was eine Psyche gehabt hatte. Es gab aber auch schon den Begriff vegetabilia für Pflanzenwelt, und Vegetarismus als modernes Wort meint zweifellos Ernährung durch Pflanzenkost und nichts anderes. Eduard Baltzer und andere haben zwar darauf hingewiesen, dass vegetus im Lateinischen rüstig, lebhaft, munter und vegetare lebhaft erregen, beleben bedeutet. Sie zogen daraus den Schluss: Vegetarier sein bedeute viel mehr als nur Pflanzen essen, es bedeute, frisch, lebhaft, gesund, besonders helle sein usw. Sie übersahen dabei aber, dass schließlich auch der Begriff Vegetieren auf dieselbe Wurzel zurückgeht und ebenso der Begriff vegetativ im Sinne von unbewusst, dem Willen nicht unterliegend. Vegetieren heißt ja geradezu kümmerlich, kärglich leben, dahinleben. Irgendwie will der Sprachgeist auch zum Ausdruck bringen: Die Vegetation vegetiert, sie lebt dahin ohne pädagogische und geschichtliche Aufgaben. In diesem Sinne vegetieren auch wohl die meisten Tiere! Vegetieren deutet also auf die Bewußtseinsherabdrückung der Pflanzenseele hin.
Ich glaube, dass der angelsächsische Sprachgeist bei seiner Sprachbildung vegetarian an die Vegetabilien, vegetables oder pflanzlichen Nahrungsmittel angeknüpft hat und an den englischen Begriff vegetation. Soweit unsere Abschweifung, die aber auch ein Beitrag zu einer Aussage über den Bewusstseinsgrad der Vegetation sein wollte. Noch ein Hinweis: Wir sagen zwar: Die Birke „blutet“, wenn sie viel Saft und Kraft verliert durch eine Verletzung des Stammes. Aber die Pflanzen unterscheiden sich auch dadurch von den Tieren, dass sie kein Blut haben. Da aber nach Urweisheit die Seele ihren Sitz im Blute hat (man kann das nicht leichtfertig abtun, bloß weil man ein aufgeklärter, entmythologisierter Mitteleuropäer ist), wird die Pflanze auch aus diesem Grunde weniger mit Seele behaftet sein als ein Tier. Dies war ja das Hauptmotiv beim Vegetarismus in der Antike: Die Vermeidung des Blutgenusses wegen der damit verbundenen Assimilation tierischer Leidenschaften. Andererseits ist aber nach antiker und neutestamentlicher Auffassung die Seele auch nicht unbedingt an Blut gebunden, sondern kann auch ohne Leib und Blut außerhalb des Leibes existieren. So könnte auch ohne Blut eine Seele in der Pflanze stecken.
Ich wies schon darauf hin, dass die Pflanzen „stumm“ sind. Tiere können schreien, Pflanzen aber nicht. Doch auch. dies mag nur ein menschliches Vorurteil sein auf Grund unserer Gehörgrenze! Bekanntlich hat man auch lange Zeit gemeint, die Fische seien stumm, während man inzwischen erfahren und erkannt hat, dass im Meere entsprechend dem dort herrschenden permanenten Jagd- und Kriegszustand ein ganz nettes Geschrei ist, wie man so sagt. Es ist natürlich kein schönes Geschrei!
Noch ein letztes: Tiere sehen und flehen dich an! Tiere sind im großen und ganzen Wesen, die Augen haben. Leuten, die Augen haben, kann man die Seele kaum absprechen. Bei den Pflanzen hat man dieses Erlebnis nicht, dass man von Augen angeblickt wird. Damit spreche ich ihnen die Seele nicht ab, glaube aber, dass diese bei den Pflanzen in einem halb abwesenden Zustand ist. Sie schauen nicht in die Welt hinein, können aber auch der Gefahr nicht entspringen wie die ängstlich um sich blickenden Tiere.
So, jetzt werde ich Ihnen zum Abschluss Ansätze zu einer absoluten Ethik geben. Ich glaube an die Allbeseeltheit aller Wesen. Gott hat das größte, alles umfassende, absolute Bewusstsein. Wir abhängigen Geister haben ein verschiedenartig beschränktes Bewußtsein. Wenn wir einmal von den vielen Geistern über uns absehen, so bilden wir Menschen uns gerne ein, dass wir an Bewußtsein und Intelligenz alle Tiere überragen. Ob das wirklich richtig ist, steht noch dahin. Natürlich können wir nicht von den Tieren ganz allgemein reden. Das sind ziemlich unterschiedliche Wesen. Ich könnte mir denken - kein Mensch weiß es genau -‚ dass ihr Empfindungsleben intensiver und reiner, weniger intellektuell überlagert und verdrängt ist als bei vielen Menschen. Die Tiere stehen den Kindern und den Primitiven nahe.
Über die Intelligenz von Hunden, Pferden, Delphinen, Elefanten möchte ich mir auch kein Urteil anmaßen, wenn sie auch keine Bücher zu schreiben pflegen. Die nächst niedrigere Bewusstseinsstufe finden wir in der Pflanzenwelt vor, wenngleich wir auch hier wohl nicht die Pflanzen, alle Pflanzen gleichstellen dürfen. Das ist ja immer die Neigung und Gefahr des Menschen, grob zu verallgemeinern. Ich glaube, dass es auch noch verschiedene Bewusstseinsgrade unter den Pflanzen, ja sogar innerhalb des Lebenslaufes der einzelnen Pflanze gibt. So etwas gibt es doch auch bei uns Menschen, wenn wir wachen oder schlafen. Ob ein Baum irri Winterschlaf oder in der Vollblüte steht, das ist wahrscheinlich auch für ihn selbst ein unterschiedlicher Zustand.
Auf dieser metaphysischen Grundlage ziehe ich jetzt die folgenden ethischen Konsequenzen:
1. These: Das fünfte Gebot: DU SOLLST NICHT TÖTEN! gilt absolut! Es steht nicht nur im Katechismus, sondern steckt uns auch irgendwie in den Knochen. D. h. es ist keine Erfindung des Menschen, sondern stammt von Gott. Gott darf man aber nicht einfach mit der grausamen Wirklichkeit verwechseln und mit der Natur identifizieren. Dann hat man Gott abgeschafft und kann ihn auch gleich für tot erklären. Gott ist eine geistig-ethische, höhere Weltordnung, die durch erleuchtete Menschen und über die wachen Gewissen in diese Welt hineinragt.
2. These: Wir leben in einer Welt, die auf Mord und Totschlag aufgebaut ist. Ein jedes Lebewesen lebt vom Tod des anderen und auf Kosten des anderen. Luther sprach von der gegenwärtigen Natur als einem abscheulichen Weltzustand. Albert Schweitzer sprach vom Grauen des Daseins. Ernst Toller rief aus: „Weh uns! Was lebt, mordet!“ Und Wilhelm Busch erkannte und bekannte: „Ja, ich muss töten, um zu leben, und das ist schlimm. Und ich erkenne, dass ich in einer Welt lebe, durch die man zum mindesten ohne gelegentlichen Totschlag nicht hindurchkommt. Aber ich bekenne auch offen, dass mir jede Tötung zuwider ist, dass sie also offenbar gegen meine innerste göttliche Natur ist.“ Ich begreife hier die wunderbare biblische These: „Wir wissen, dass wir von Gott sind, und die ganze Welt (der Kosmos!) im Argen (genauer: im Bösen) liegt“ (1. Joh. 5,19). Wäre ich von dieser Welt und ihrer Mordgesinnung, dann würde ich mich an ihr nicht stoßen und ärgern. An meiner inneren Opposition dagegen merke ich aber, dass ich von Gott bin, d. h. Glied einer edleren, höheren Weltordnung und friedlichen Geistergemeinschaft.
3. These und Urfrage aller Ethik: Wie komme ich ohne Mord, ohne Vergewaltigung anderer, ohne Beschädigung von Mensch, Tier und Pflanze durch diese Welt? Denn Gott ist Liebe, und die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Und: „Alles, was lebt, ist unser Nächster“ (Gandhi). Das ist das wichtigste Problem, über das wir Menschen uns Gedanken machen sollten, wenn wir die Politik und die menschliche Ernährung heilsam reformieren und den Garten der Erde nicht zerstören wollen.
Wie soll das absolut geltende fünfte Gebot dennoch in dieser Mordwelt praktiziert werden? Das ist die politische Frage, die Frage nach dem friedlichen Zusammenleben, der göttlichen Koexistenz aller.
Alle Religion, alle Kultur, alle Menschlichkeit beginnt mit dem Waffenstillstand, mit dem Einhalten des Mordens, mit der Vergrößerung des Kreises des Wohlwollens und der Schonung.
Zunächst muss selbstverständlich mit dem fünften Gebot absolut ernst gemacht werden gegenüber dem Menschen. Das organisierte und dekorierte öffentliche Verbrechen des Krieges ist noch vor der Verhinderung des privaten Kapitalverbrechens zu diffamieren und ganz aus der Menschengeschichte zu eliminieren.
Im Verhältnis zu den Tieren, bringt der Vegetarismus den großartigen Fortschritt, dass kein Tier mehr für die Zwecke menschlicher Ernährung getötet werden soll, und der Tierschutz sollte auf seine Fahne viel radikalere Schutzbestimmungen für die Tierwelt schreiben als bisher. Ganz zu verwerfen und zu verbieten ist die Vivisektion als ein Verbrechen einer ethisch unterentwickelten Wissenschaft. Es müssen eben von Wissenschaftlern mit intaktem Gewissen ganz andere Methoden der Forschung erfunden werden. Auf keinen Fall ist die intellektuelle Überlegenheit des Menschen über die Tiere eine Lizenz zur Vergewaltigung des Schwächeren.
Auch wo Tötung unvermeidlich ist, wird man das Getötete nicht essen. Solange das Töten dem Menschen keine Skrupel bereitet, ist er moralisch verdorben, verhärtet, abgestorben. Auch wo wir zum Töten gezwungen sind, ist es schlimm und kein Freibrief und keine Absolution für Vernichtungsaktionen.
Bis die Menschheit die Ziele des Pazifismus (Überwindung des Krieges), des Vegetarismus (Überwindung des Fleischessens) und der Anti-Vivisektion (‘Überwindung der Tierexperimente) erreicht hat, hat sie noch einiges zu tun und sollte sie nicht durch die Pflanzenfrage sich von den nächsten Dingen abzulenken versuchen.
Die Tötung eines Menschen gilt bei den Menschen als viel schlimmer als die Tötung eines Tieres. Dabei ist der Unterschied und die Kluft zwischen Mensch und Tier nicht so groß wie die Kluft zwischen Tier und Pflanze! Und die Tiertötung mit ihrem Blutvergießen und Mordsgeschrei kommt dem Charakter des Menschenmordes sehr viel näher als die Vernichtung einer Pflanze zur Ernährung von Mensch oder Tier.
Doch befassen wir uns nun auch noch ernsthaft mit der Tötung der Pflanze! Auch die Pflanze hat Anspruch auf Ehrfurcht vor dem Leben! Es gibt auch ein Recht der Pflanze, auch wenn dieses noch nicht von den Menschen ausgesprochen wurde.
Wir erziehen doch unsere Kinder wohl grundsätzlich dazu, dass sie nicht einfach Blumen abreißen und wegwerfen dürfen. Wie schön wurde die Ehrfurcht vor der Blume von August Graf von Platen gelehrt:

Hin zur Blume trete,
Doch zerknick sie nie,s
schau sie an und bete:
Wär’ ich schön wie sie!

Auch Jean Paul hat etwa gleichzeitig an der Erziehung des Menschengeschlechts mitgearbeitet durch seine

Frühlingsmahnung
Ich sage euch, ‘s ist alles heilig jetzt,
und wer im Blühen einen Baum verletzt,
der schneidet ein wie in ein Mutterherz.
Und wer sich eine Blume pflückt zum Scherz
und sie dann von sich schleudert sorgenlos,
der reißt ein Kind von seiner Mutter Schoß.

Ich habe als junger Pastor nicht erlaubt, dass mein Altar mit Schnittblumen geschmückt wurde. Nur Topfblumen durften darauf stehen. Ich wollte Gott nicht einmal ein Blumenopfer bringen, weil ich glaubte, dass er des nicht bedürfe, da er Selbstversorger an Blumen ist, und weil man nur sich selbst aufopfern, aber nicht andere Wesen opfern darf. Ich habe darüber sogar eine Kontroverse im Deutschen Pfarrerblatt gehabt. Auch habe ich alte Baumriesen geschützt in meinem Pfarrgarten, die der Kirchenvorstand zum Tode verurteilen wollte, und die heute nach 30 Jahren noch stehen. Dass wir uns schließlich auch gegen den Tannenbaummord in der Weihnachtszeit gewandt haben, ist ja bekannt. So kann man sich also auch im Pflanzenschutz betätigen, nicht nur im Tierschutz und im Kinderschutz.
Zum Glück gibt es ja auch im öffentlichen Bewusstsein schon so einen Begriff wie Baumfrevel, der sogar schon strafbar ist. Warum es kein Baumfrevel sein soll, wenn die Umlegung prächtiger Bäume im Forstbetrieb mit Sägemaschinen „amtlich“ und „erlaubt“ geschieht, wollte mir niemals ganz in den Kopf. Mir ist der angeblich sehr gesunde Beruf eines Baumfällers immer als grausamer Beruf erschienen. Bei der Baumfällung - oftmals mitten in der Vollblüte - oder auch beim Töten anderer Pflanzen hat man immer das schlechte Gefühl wie bei einer Hinrichtung (oder man sollte es haben). Natürlich wird dieses ethische Urgefühl von den meisten Menschen unterdrückt oder verdrängt und mit einem Schnaps oder einer Zigarette als „Sentimentalität“ abgetan. In früheren Zeiten war man der Wahrheit und Gerechtigkeit noch näher In Alpenländern soll sich noch lange der Brauch erhalten haben, dass Holzfäller in einem Stillgebet einen Baum erst um Entschuldigung baten, bevor sie ihn umschlugen, als arme Kerle, die für sich und ihre Familien Brot verdienen mußten, ihn eben umschlagen mußten, was sie von Natur gewiss nicht getan hätten.
Als Vegetarier erkennen und bekennen wir ganz offen und gewiss früher als alle anderen Menschen, dass alle Menschen und Tiere laufend in die Existenz der Pflanzen eingreifen und an ihnen schuldig werden. Auch hier gilt die harte Tatsache: Ich muss töten, um zu leben, und das ist schlimm. Aber das Ernten Ist bestimmt weniger schlimm als das blutige Geschehen im Schlachthaus.
Der große Unterschied besteht darin: Es wird kein Blut vergossen, und die Pflanzen sind schon von Natur in einem bewusstloseren oder bewusstseinsabgedämpfteren Zustand.
Die „humane Tötung“ ist uns hier von der Natur vorweggenommen. Wir sind durchaus nicht der Meinung, dass Wesen mit hellerem Bewusstsein das Recht haben, Wesen mit schwächerem Bewusstsein zu töten. Das geringere Bewusstsein ist noch kein Grund zur Vergewaltigung, wohl aber ist es für uns Gewalttäter ein „Trost“.
Außerdem geschieht den verschiedenen Pflanzen oder ihren Teilen gegenüber sehr Verschiedenes bei der Verspeisung.
Da gibt es den großen Pflanzensektor, wo ganze Pflanzen wie Zwiebeln, Wurzeln, Knollen, Salat- und Kohlköpfe aus ihrer Entwicklung herausgerissen und total vernichtet werden. Ein Bruchteil sorgt für die reichliche Fortpflanzung und Vermehrung der Arten.
Ein besonderes Speisewunder ist hier die Kartoffel. Wie die reifen Äpfel auf der Erde, so liegen die Erdäpfel im Herbst verstreut unter der Erde. Das Kraut fault ab, die Knollen erfrieren und verfaulen in der Erde, wenn wir uns nicht erbarmen und sie ernten und essen. Ein Zehntel als Saatkartoffeln garantiert alle Jahre wieder die gleiche Ernte. Der Sinn von Neunzehntel Überfluss kann nur die göttlich geplante Sättigung von Menschen oder Tieren sein mit dem Unterschied, dass die Tiere die Kartoffeln restlos vertilgen würden, während der Mensch durch sorgfältigen Anbau das Fortleben der Kartoffel bewirkt.
Andere Pflanzen wie Petersilie, Schnittlauch, Spinat, Blattsalate etc. erleben eine Art Abrasierung entsprechend der Abgrasung der Weiden durch das Vieh. Hier bleiben die Pflanzen irgendwie erhalten. Durch Nachwuchs und Regeneration setzt die Pflanze ihr Leben fort trotz Lebensmittelabgabe an Mensch und Tier.
Die nächste Stufe sind die Leguminosen, bei denen die Samen im frischen oder gereiften Zustand geerntet und verspeist werden. Die Pflanzen selbst üben hier nur die Funktion einer vergänglichen Träger- und Zuleitungsstaffel aus, die am Ende des Sommers von selbst abwelkt und ihre Daseinsmission auch ohne den Menschen erfüllt hätte.
Auf die Leguminosen folgt das große Heer der Kulturgräser, der Getreide vom Weizen und Roggen bis zum Reis und den Ölfrüchten hin, deren Trägerpflanzen ebenfalls eine von sich aus vergängliche Natur haben. Die Samen sind ein wahres Wunder von Lebensmitteln, integrale Nährmittel, Sonnenenergiereservate, der Stab des Lebens. Sie üben eine Doppelfunktion aus. Selbstverständlich dienen sie der Fortpflanzung. Aber ihr Anfall ist so überreichlich, dreißig-, sechzig-, hundertfältig, dass sie zugleich als Nahrungsmittel für Menschen und Tiere da zu sein scheinen. Samen sind natürliche Konserven, also Kraftnahrungsmittel. Als Samen sind sie nicht gerade tiefgekühlt, wohl aber in einen verringerten Bewusstseinszustand, eine Art Schlaf versenkt, aus dem sie erst wieder erweckt werden, wenn sie unter den Einfluss von Erde, Feuchtigkeit und Wärme kommen. Sie sind also gleichsam natürlich betäubt. Man kann wohl sagen, dass die Zermahlung und Verarbeitung der Samen zur menschlichen Speise ein wesentlich humanerer Akt ist als die sogenannte „humane Tötung“ im Schlachthaus. Bei dem Samen offenbart sich der größte Gegensatz zwischen Ernte und Schlachthaus. Ihnen haftet trotz Loslösung von der Mutterpflanze ein langes Leben an, während tierischer Same sehr kurzlebig ist und jeder Tötungsakt bei einem Tier den sofortigen Beginn des Zerfalls nach sich zieht.
Ein fast unbegreifliches Wunder ganz besonderer Art ist die Ernte der Fette von den Goldfeldern oder auch ihre einfache kalte Auspressung aus den Früchten des Olivenbaumes ohne die grauenhaften Aktionen von Tierschlachtungen, die zur Gewinnung tierischer Fette nötig sind.
Ehe wir zum Status der Früchte als Lebensmittel kommen, freuen wir uns über die Beerensträucher als halbwüchsigen Übergang zu den Obst- und Nussbäumen. Die Beeren können geerntet werden ohne Schädigung der Strauchpflanzen. Die Beeren müssen sogar geerntet werden von Menschen und Vögeln, wenn sie nicht zwecklos umkommen sollen.
Die paradiesische Form der Pflanzenkost sind seit alters die Früchte der Bäume. Sie fallen schließlich reif vom Baume und gehen zu Grunde, wenn sie nicht von Menschen oder Tieren als kostbare Sonnennahrung aufgenommen und verzehrt werden. Die Früchte sind die wahre Unschuldsnahrung. Es kann der Mensch sich also von den Früchten eines Baumes nähren, ohne schuldig zu werden am Leben einer Pflanze.
Hier vollzieht sich in unserem ethischen Verhalten gegenüber Tier und Pflanze der größte Gegensatz zu den blutigen Verbrechen im Schlachthaus. Hier feiert der Vegetarismus seinen höchsten moralischen Triumph. Vor unseren Augen offenbart sich einfach, was die ethisch einwandfreie, wahrhaft humane Kostform des Menschen ist. Da möchte man ausrufen: Siehe, es war nicht nur einmal, es ist auch noch vieles sehr gut, wenn der Mensch nur gut sein will.
Es ist also nicht der Fall und mithin nicht wahr, dass wir Vegetarier auch immer Lebewesen töten, wenn wir uns vegetarisch ernähren. Wenn man sich in die Entstehungswunder der Pflanzenkost versenkt, kann man direkt wieder an Gott glauben lernen, an eine ethisch denkende geistige Macht, die uns entgegenkommend dazu verhilft, dass wir inmitten dieser verkehrten mörderischen Welt doch das radikal und absolut geltende Urgebot: DU SOLLST NICHT TÖTEN! halten können, wenn wir nur fromm und vernünftig, einsichts- und mitleidsvoll, barmherzig und brüderlich umgehen mit unseren Mitgeschöpfen, mit Bruder Mensch, Bruder Tier und Schwester Pflanze.

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